GOSSIP aus dem 19. Jahrhundert: Wie ein Korb in „Goethes letzte Liebe“ umgeschrieben wurde

Juli 29, 2025

Als Boulevardjournalistin setze ich mich tagtäglich mit dem neuesten Klatsch und Tratsch aus der Welt der Promis auseinander. Bedeutende Persönlichkeiten gab es wohl schon immer, doch im Zeitalter von Radio, TV und Internet ist es natürlich deutlich leichter geworden, sich als VIP eine große Reichweite zu schaffen. Aus diesem Grund ist es umso beeindruckender, wie es einem Mann namens Johann Wolfgang von Goethe gelingen konnte, das Level an Bekanntheit zu erreichen, das ihm im 18. und 19. Jahrhundert tatsächlich zuteilwurde. Meiner Meinung nach hat Goethe seitdem an Relevanz keineswegs eingebüßt – weshalb ich meinen heutigen Blogartikel dem Dichter und Denker widmen möchte, an dem kein Deutschschüler, Geisteswissenschaftler oder (im Grunde) jeglicher Ottonormalverbraucher vorbeikommen sollte.

Woher stammt eigentlich meine Faszination für das Genie, das so viel mehr war als ein Meister des geschriebenen Wortes? Tatsächlich war ich bereits zu Schulzeiten ein großer Fan von Goethe und Schiller: Auf einer Klassenfahrt nach Weimar erwarb ich im Alter von 16 Jahren Salz- und Pfefferstreuer mit deren Gesichtern, die noch heute meinen Küchentisch zieren. In meinem Studiengang der Theaterwissenschaft durfte ich mich zudem intensiv mit ihren Dramen befassen. Ich habe weiß Gott nicht alles gelesen, was die beiden zu Papier gebracht haben und bin immer wieder dankbar, wenn mir Bücher, Dokus oder Podcasts bislang unbekannte Infos zu ihnen liefern. Und doch würde ich behaupten, mich erstaunlich gut mit den wildesten Geschichten aus deren Privatleben auszukennen. Als ich im Juli 2025 für ein Familientreffen nach Marienbad reiste, war mir klar, dass ich dort unbedingt auf Goethes Spuren wandeln wollte. Immerhin ist der Kurort im heutigen Tschechien als Schauplatz von „Goethes letzter Liebe“ bekannt. Die Verbindung zu dem bedeutenden deutschen Dichter ist dort, in Marienbad und auch im beschaulichen Elbogen, an jeder Straßenecke zu erkennen. Doch bei der Recherche wurde mir peu à peu bewusst: Die Geschichte um Johann Wolfgang und seinem letzten Objekt der Begierde, Ulrike von Levetzow, ist bei Weitem nicht so romantisch, wie ich sie aus Mangel an Informationen abgespeichert hatte. Und warum ich das so empfinde, werde ich dir in diesem Artikel erklären. Auch wenn ich mit meiner Schlagzeile etwas zu spät dran bin (naja, was sind schon 200 Jahre?), hoffe ich, dich mit dem heißen Gossip aus dem 19. Jahrhundert heute ein wenig unterhalten zu können. 😉

Johann Wolfgang von Goethe: Der Superstar seiner Zeit?

Johann Wolfgang Goethe wurde am 28. August 1749 in Frankfurt am Main geboren und sollte sich zu einem der wichtigsten Gesichter der gesamten deutschen Literaturgeschichte entwickeln. 1774 machte ihn sein Briefroman „Die Leiden des jungen Werther“ schlagartig berühmt, „Faust“ avancierte zu seinem Lebenswerk, das bis heute weltweit gelesen und aufgeführt wird und gemeinsam mit seinem Freund Friedrich von Schiller prägte er die Epochen des Sturm und Drang und der Weimarer Klassik wie kein anderer. Sein Genius beschränkte sich aber nicht auf das Schreiben, da er auch als Naturwissenschaftler, Jurist und Minister tätig war. Es wird wohl seine Gründe haben, warum zahlreiche Straßen und Schulen nach Goethe benannt und Denkmäler für ihn errichtet wurden. Er hinterließ seine Spuren an vielen Orten, nicht zuletzt, weil er als wohlhabender, hoch angesehener Mann zahlreiche Reisen unternehmen konnte, die für einen Normalo zu damaligen Zeiten undenkbar gewesen wären. Auch wenn man stundenlang über das beeindruckende Werk und die vielen Errungenschaften Goethes sprechen könnte, wollen wir uns heute ganz und gar seinem spannenden Liebesleben widmen. Denn wir alle genießen wohl hin und wieder ein kleines bisschen Boulevard – ob wir es nun zugeben möchten oder nicht.

Die Leiden des (jungen) Goethe: Wem schenkte er sein Herz?

Johann Wolfgang von Goethe fand die Liebe mehr als einmal im Leben. Über sein Privatleben wurde viel spekuliert und zahlreiche Behauptungen dazu aufgestellt. Die wohl bekannteste ist die, dass der Dichter bis zu seinem 38. Lebensjahr jungfräulich gewesen sein soll, nur um endlich das „Schlampampsen“ für sich zu entdecken und das Bettgestell in seinem Weimarer Gartenhaus während intensiver Schäferstündchen zum Einsturz zu bringen. Gerüchte dieser Art wurden längst aus Mangel an Beweisen widerlegt – und doch halten sie sich hartnäckig. Ich schätze, je pikanter eine Behauptung ausfällt, desto schwieriger ist es, sich von dem Stempel wieder reinzuwaschen. Sind wir mal ehrlich: Ein Superstar wie Goethe konnte sich damals vor Verehrerinnen vermutlich kaum retten. Und doch wurde dem sensiblen Poeten im Laufe seines langen Lebens tatsächlich mehrmals das Herz gebrochen. Aber Goethe wäre nicht Goethe, wenn er diese Erfahrungen nicht in seiner Kunst verarbeitet und so zumindest noch das Beste daraus gemacht hätte.

Zu den bedeutendsten romantischen Begegnungen des Dichters zählte eindeutig Charlotte Buff, die ihn zu „Die Leiden des jungen Werther“ inspirierte. Die unerfüllte Liebe zu der versprochenen Schönheit stieß den damals noch so jungen Künstler in eine tiefe Krise und der dazugehörige Briefroman, in dem der Protagonist aus Liebeskummer Suizid begeht, löste den berühmt-berüchtigten Werther-Effekt aus. Falls Du nicht wissen solltest, worum es sich dabei handelt, lade ich dich dazu ein, es später zu googeln und diese Bildungslücke zu schließen. Mit der Frankfurter Bankierstochter Lili Schönemann verlobte sich Goethe sogar, doch sollte deren Verbindung an völlig unterschiedlichen Lebensvorstellungen scheitern. Die sieben Jahre ältere Charlotte von Stein war bereits Mutter von sieben Kindern, als Goethe sein Herz an sie verschenkte. Gegenseitige Bewunderung und intellektueller Austausch prägten die Freundschaft der Wahl-Weimarer, doch sollte es nicht für ein Happy End reichen. Schließlich traf Goethe auf Christiane Vulpius, mit der er ganze 28 Jahre zusammenlebte. Das Paar bekam fünf gemeinsame Kinder, von denen jedoch nur August von Goethe das Erwachsenenalter erreichte. Christiane verstarb im Jahr 1816 und ließ Goethe als trauernden Witwer zurück… bis er fünf Jahre später im Alter von 72 Jahren ein letztes Mal Schmetterlinge im Bauch spüren sollte. Und genau um diese finale romantische Begegnung Goethes wird es nun gehen.

Die Goethe-Statue im böhmischen Elbogen: Hier erlebte der Dichter sowohl seine letzte Liebe als auch seine letzte Abfuhr.
Die Goethe-Statue im böhmischen Elbogen: Hier erlebte der Dichter seine letzte Liebe – sowie seine letzte Abfuhr.

„Goethes letzte Liebe“: Wie war das damals mit Ulrike von Levetzow?

Die Spuren, die Johann Wolfgang von Goethe in Böhmen hinterlassen hat, sind nicht von der Hand zu weisen. Sowohl in Marienbad (siehe Artikelbild) als auch in Elbogen wurde der Dichter jeweils in Form einer Solo-Statue verewigt. Plätze, Gasthäuser und Hotels wurden nach ihm benannt und zahlreiche Tafeln erklären stolz, dass der Literatur-Superstar mehrfach dort zu Besuch gewesen sein soll. Man könnte gar von einem Kult sprechen, den Goethe in den böhmischen Städten ausgelöst und hinterlassen hat. Auch wenn er dort nur urlaubte, wird der Dichter mit den Ortschaften wie kein anderer in Verbindung gebracht. Goethe liebte die schöne Kurgegend: Und wie man an der Fassade vom „Hotel zum Weissen Ross“ in Elbogen lesen kann, soll der Dichter alleine dort in den Jahren 1807, 1808, 1810, 1811, 1818, 1819 und 1823 abgestiegen sein.

Wer in Böhmen auf Goethes Spuren wandeln will, kommt um das „Hotel zum Weissen Ross“ in Elbogen nicht herum.

Das benachbarte Marienbad besuchte Johann Wolfgang von Goethe ebenfalls mehrmals in seinem Leben. Im Juli 1821 machte er dort eine entscheidende Begegnung: Er traf zum ersten Mal auf die damals 17-jährige Ulrike von Levetzow, die mit ihrer Mutter und ihrer jüngeren Schwester Bertha in dem Kurort zu Hause war. Zwischen der Familie und dem Dichter entwickelte sich schnell eine gewisse Freundschaft und vor allem für Ulrike und den deutlich älteren Goethe hielt das Kennenlernen einen wichtigen intellektuellen Austausch bereit. Doch wie mehrfach überliefert wurde, hegte Ulrike zu keiner Zeit romantische Gefühle für Goethe. Für sie stellte er vielmehr eine Vaterfigur dar und deren Miteinander ging nie über eine rein platonische Verbindung hinaus: „Keine Liebschaft war es nicht“, soll Ulrike gesagt haben, was ins heutige Hochdeutsch übersetzt bedeutet: „Da ging nie etwas.“ Während die junge Frau sich dieser Sache sicher war, schien ihr Verehrer das allerdings anders zu interpretieren: Im Jahr 1823 ließ Goethe durch den Erzherzog Karl August von Sachsen-Weimar um Ulrikes Hand anhalten. Sie lehnte seinen Heiratsantrag höflich und bestimmt ab, woraufhin Goethe mit gebrochenem Herzen Böhmen verließ – ohne jemals wiederzukehren. Seine Enttäuschung über die Zurückweisung brachte er schließlich in dem Gedicht „Die Marienbader Elegie“ zu Papier, die Teil seines Textbandes „Trilogie der Leidenschaft“ ist. Und der Schmerz saß bei dem in die Jahre gekommenen Poeten offenbar tief:

„Wär ich jüngst und nicht so alt gewesen,

Wär dein Herz wohl meins gewesen.“

Auch wenn sich die Geschichte zwischen Johann Wolfgang und Ulrike im Grunde schnell erledigt hatte, wurde ihr im Laufe der Jahre eine bemerkenswerte Bedeutung zugesprochen. Der einseitigen Liebschaft widmete man gar eine Statue am Goethe-Wanderweg in Marienbad, die ich bei meinem Tschechien-Besuch im Juli natürlich unbedingt aufsuchen musste:

Goethe und seine Muse Ulrike in Marienbad: Die Statue erinnert bis heute an eine sehr einseitige Liebesgeschichte.

Und auch die Terrasse des „Hotels zum Weissen Ross“ in Elbogen ist ganz der Verbindung zwischen Goethe und Ulrike gewidmet. Dort wurde sogar eine Fotowand aufgestellt, an der „Fans“ als der berühmte Dichter und seine Angebetete posieren können – obwohl Ulrike die Avancen ihres Verehrers ja eigentlich abgelehnt hatte. Selbst im angrenzenden Souvenir-Shop erinnert alles an die „Freundschaft“ zwischen dem Über-70-Jährigen und dem damaligen Teenager. Man könnte bei diesem Fankult wahrlich meinen, dass deren Beziehung ein hollywoodreifes Happy End gefunden hätte. Doch nein, ich habe nicht gelogen: Zwischen den beiden gab es nie eine Romanze und keine der kitschigen Interpretationen wäre wohl wirklich in Ulrikes Sinne gewesen.

Auf dieser Terrasse in Elbogen kann man ein Erinnerungsfoto als Ulrike und Goethe machen.

Auf genau dieser Terrasse soll Johann Wolfgang von Goethe im August 1823 seinen 74. Geburtstag im Beisein von Familie Levetzow gefeiert haben. Ein Gemälde erinnert dort noch heute an diesen Anlass. Ulrike war damals 19 Jahre jung:

Man könnte nun natürlich anerkennen, dass Goethe seiner letzten Herzensdame zur Unsterblichkeit verholfen hat. Die einseitige Schwärmerei machte Ulrike immerhin zu seiner „letzten Liebe“ und mir fallen durchaus uncharmantere Stempel ein, die Frauen im Laufe der Geschichte bereits verpasst wurden. Und doch hinterlässt die Missachtung von Ulrikes wahrer Gefühlslage bei mir einen bitteren Nachgeschmack…

Justice for Ulrike: Ein schmeichelhaftes oder fragwürdiges Image?

Auch wenn ich ein bekennender Goethe-Fan bin, ist es mir an dieser Stelle wichtig, eine Lanze für seine „letzte Liebe“ zu brechen. Natürlich ist Ulrikes Vermächtnis äußert schmeichelhaft für sie, doch versetzt man sich einmal wirklich in ihre Lage, erscheint die Situation doch etwas seltsam: Man korbt einen deutlich älteren Herren und geht dennoch als seine „letzte Liebe“ in die Geschichte ein… Was sich vielleicht auf den ersten Blick wie keine große Sache anhören mag, ist im Grunde ungerecht und irgendwie auch ein bisschen creepy. Denn nur weil Goethe von der jungen Frau verzaubert war, räumte ihm dies nicht das Recht ein, über ihr weiteres Image zu bestimmen und das sogar lange über ihren Tod hinaus – oder? Denn wer war sie eigentlich, ganz unabhängig von dieser zweijährigen Episode?

Es wird Zeit, der guten Ulrike die Bühne zu bieten, die sie in den vergangenen 126 Jahren viel zu selten bekommen hat. Die hübsche Marienbaderin war ihrer Zeit nämlich weit voraus gewesen: Sie wurde ganze 95 Jahre alt und blieb in dieser Zeit unverheiratet. Ulrike definierte sich nie über einen Mann und starb nach einem langen und erfüllten Leben im Jahr 1899 in Trziblitz, nur um im Nachhinein auf eine Begegnung reduziert zu werden, die gerade mal von 1821 bis 1823 andauerte. Als Goethe im Jahr 1832 verstarb, hatte seine „letzte Liebe“ noch ganze 67 Jahre vor sich. 67 Jahre, die sie ohne romantische Verbindung zu füllen wusste. Die böhmische Schönheit führte ein schlichtes Leben, engagierte sich in sozialen Belangen, wie der Armenfürsorge, und war bei der Landbevölkerung äußerst beliebt. Über Goethe und die Beziehung zu ihm sprach sie kaum öffentlich – sie selbst schlachtete also nie aus, was ihr wichtigstes Merkmal hätte werden können. Erst im hohen Alter, und auf sanften Druck von Schriftstellern und Historikern hin, gestand sie die Wahrhaftigkeit von Goethes Antrag, doch hielt sie sich auch dabei würdevoll und bescheiden zurück. Ulrikes Grab befindet sich im Übrigen in Trziblitz – und ist bis heute (natürlich) eine Pilgerstätte für Goethe-Fans.

Liebe Ulrike, auch wenn ich deinen bedeutenden Verehrer sehr schätze, möchte ich dich wissen lassen: Wir sehen dich und wissen, dass du noch so viel mehr warst als der berühmte, einflussreiche Mann, der einst Interesse an dir gezeigt hat.❤