Jedes Jahr fiebern treue ESC-Fans auf die schönste Woche im Mai hin. Beitragslieder werden be- und verurteilt, Prognosen studiert und die Berichterstattung verfolgt, bis es endlich wieder heißt: „EUROPE, START VOTING NOW!“ Der diesjährige Eurovision Song Contest fand vom 13. bis zum 17. Mai 2025 in Basel statt und hat mit dem österreichischen Beitrag „Wasted Love“ von Countertenor JJ einen würdigen Sieger gefunden. Für mich war der Musikwettbewerb in diesem Jahr so besonders wie nie zuvor: Zum ersten Mal konnte ich nämlich die heimische Couch gegen das Gastgeberland eintauschen und mir den wundervollen Zirkus live am Ort des Geschehens ansehen. Seit dem Kindesalter ist diese verrückte Show für mich das größte TV-Highlight, weshalb ich mir mit meinem Besuch einen echten Traum erfüllen konnte. Doch was ist nun mein Fazit: Hat sich die Reise in die Schweiz zum Eurovision Song Contest gelohnt?
ESC 2006 in Athen: Der Beginn einer ganz großen Liebe
Ich war zehn Jahre alt und ging in die vierte Klasse, als ich mein erstes ESC-Finale bis zur Punktevergabe und der anschließenden Siegerehrung im Fernsehen ansehen durfte. Damals fand der Musikwettbewerb in Athen statt und die Heavy Metal-Band Lordi gewann für Finnland mit dem Song „Hard Rock Hallelujah“. Eigentlich überhaupt nicht mein Musikgeschmack, doch natürlich zählt dieser Titel zweifellos zu den unvergesslichsten ESC-Beiträgen der vergangenen Jahrzehnte.
Tatsächlich konnte ich Lordi viele Jahre später live im Colos-Saal Aschaffenburg bewundern und habe beim Anblick ihrer schweren Kostüme nicht schlecht gestaunt. Solltet ihr je ein Konzert der Band besuchen, habe ich eine kleine Vorwarnung parat: Bei Lordi könnte es schwitzig werden! Für waschechte Heavy-Metal-Fans ist diese Info vermutlich überflüssig, doch für einen Außenseiter, der die Konzertkarte nur aufgrund seiner ESC-Liebe erwirbt, könnte die Schweißdusche der Musiker durchaus überraschend kommen.😉
Von der quietschbunten ESC-Show und der Auswahl an Teilnehmersongs war mein 10-jähriges Ich damals jedenfalls sofort fasziniert. Ich fand das Konzept einfach spannend und erfuhr plötzlich von Ländern, die mir zuvor völlig unbekannt gewesen waren. Man könnte fast sagen, der ESC erfüllte bei mir einen gewissen Bildungsauftrag, da er mein Grundwissen in Geografie um einiges erweiterte. Ich erinnere mich noch gut an den Montag nach dem ESC-Finale 2006. Auf dem Schulhof wurde der Musikwettbewerb heiß diskutiert, denn irgendwie hatte jeder einen anderen Favoriten für sich ausgemacht. Bis heute stellt genau das für mich den spannendsten Aspekt am ESC dar. Für jeden Geschmack ist etwas dabei – und wenn es nur ein besonders großer Quatsch ist, der sich für einige Tage (oder Wochen) ins Gehirn einbrennt. 2025 war das wohl eindeutig der estnische Beitrag „Espresso Macchiato“, den vermutlich noch immer einige Zuschauer*innen beim morgendlichen Kaffee vor sich hinsummen.
Seit 2006 ist meine Liebe für den ESC stetig gewachsen, wofür ich mich aber tatsächlich schon oft erklären musste: Wieso zum Teufel gefällt mir diese trashige Show eigentlich so gut? Sie ist doch im Grunde viel zu überdreht, viel zu politisch und die Punktevergabe völlig vorhersehbar, weil sich bestimmte Länder immer gegenseitig unterstützen, während Deutschland meistens komplett hinten runterfällt. Diese Argumente habe ich zahlreiche Male gehört und natürlich ist an jedem einzelnen auch viel Wahres dran. Doch ich liebe die Show trotzdem und kann mir kaum vorstellen, dass sich das eines Tages ändern würde.
Der ESC ist für uns Theaterkinder wie das Äquivalent zum Super Bowl oder der Fußball-WM. Das ist einfach UNSERE Woche im Jahr und es ist immer wieder aufs Neue erfrischend, sich mit anderen auszutauschen, die genauso dafür brennen, wie man selbst. Manchmal irritiert es mich tatsächlich, wie viel sinnlose ESC-Trivia eigentlich in mein Gehirn passt – während ich mir meine neue Handynummer seit fast einem Jahr nicht merken kann. Doch ich schätze, irgendein Hobby braucht der Mensch! Natürlich muss nicht jeder meine unbändige ESC-Liebe nachvollziehen können, denn sie verwundert mich ja auch ein bisschen. Viele der ESC-Songs entsprächen unter anderen Umständen wohl der Musik, bei der man sofort den Radiosender wechselt. Doch im Rahmen des ESC entwickelt man eine ganz neue Toleranzgrenze für Trash. Ich schätze an der Show den bunten Mix aus musikalischem Allerlei und vor allem das Feiern von Andersartigkeit. Und zugegeben: Hin und wieder sind auch mal echte Perlen unter den Beiträgen. Über die Jahre kamen tatsächlich schon einige ESC-Songs zusammen, die ich noch immer gerne höre. Sei es, weil ich die Lieder wirklich mag oder weil sie mich an einen ganz besonderen Frühsommer erinnern. Und jedes Jahr bin ich aufs Neue offen dafür, meine Spotify-ESC-Playlist um weitere Lieder zu ergänzen:
Zypern: Life looks better in spring (2010) – Jon Lilygreen & The Islanders
Malta: Tomorrow (2013) – Gianluca Bezzina
Niederlande: Calm after the storm (2014) – The Common Linnets
Australien: Tonight Again (2015) – Guy Sebastian
Belgien: What’s the pressure (2016) – Laura Tesoro
Irland: Together (2018) – Ryan O’Shaughnessy
Tschechien: Friend of a friend (2019) – Lake Malawi
Island: Think about things (2020) – Daði Freyr
ESC-Pläne: Wie läuft das mit den Tickets?
Nachdem Nemo den ESC im vergangenen Jahr für die Schweiz gewonnen hatte, wollte ich mich 2025 unbedingt um Tickets bemühen. Die Schweiz stand schon lange auf meiner Bucketliste und eine solche Wunschreise mit meiner liebsten TV-Show zu verbinden, schien mir eine hervorragende Idee zu sein. An Karten für den ESC zu kommen ist aber gar nicht so einfach! Diese werden in mehreren Runden vergeben, in denen sich zeitgleich tausende von Fans darauf stürzen. Am 29. Januar um 10 Uhr galt es, sich auf Ticketcorner in die Warteschleife zu begeben und zu hoffen, gleich in Runde eins für eine der ESC-Shows ausgewählt zu werden. Glücklicherweise konnte ich mir tatsächlich schon an diesem Tag mein Ticket für das Juryfinale am Freitag, den 16. Mai sichern.
Das Juryfinale fungiert als Generalprobe vor dem Grand Final und stellt gleichzeitig die Show dar, in der die nationalen Jurys ihre Punkte vergeben. Die Ergebnisse dieser Jurywertung erfährt die Öffentlichkeit aber erst am Samstag, wenn es im Grand Final heißt: „And our 12 points go to…“.
Klar, ein Semifinale oder das Grand Final wären mindestens so spannend gewesen, doch ich wollte auf keinen Fall pokern und riskieren, am Ende ganz ohne Ticket dazustehen. Wer nämlich verzichtet und darauf hofft, zu einem späteren Zeitpunkt noch etwas Besseres abzubekommen, kann potenziell ganz leer ausgehen – denn eine Garantie gibt es keine. Also gab ich mich gleich zufrieden mit dem Juryfinale, freute ich mich riesig darauf, sicher in Basel dabei sein zu können und stellte mich euphorisch auf meine allererste ESC-Reise ein. Mein Ticket für das Juryfinale kostete mich übrigens 220 Schweizer Franken.
Auf zum ESC 2025: Grüezi, liebe Schweiz!
Am Montag, den 12. Mai machte ich mich auf den Weg in unser wunderschönes Nachbarland und steuerte zunächst das idyllische Andermatt an. Von dort ging es für mich mit dem Glacier Express nach Chur, die Tage darauf machte ich Halt in Luzern und Zürich und erreichte Basel schließlich am Donnerstag, den 15. Mai – dem Tag des zweiten Semifinales. Ich kam natürlich nicht unvorbereitet dort an, denn als treuer ESC-Fan hatte ich mir vorher alle Teilnehmersongs angehört und meine Favoriten Italien, Portugal und Aserbaidschan schon längst auserkoren. Doch auch dem deutschen Beitrag Abor & Tynna drückte ich fest die Daumen. Für die Abendzeitung München hatte ich einige Wochen zuvor ein Interview mit dem österreichischen Geschwisterpaar führen können und hoffte inständig, dass die beiden das skeptische Urteil der Buchmacher noch einmal herumreißen würden. Tynna hatte sich im Interview mit mir diesbezüglich optimistisch gezeigt:
„Ja, wir haben die Prognosen gesehen, aber da unsere Performance noch nicht bekannt ist, denken wir, dass sich da noch viel tun kann.“
Zu ihrem Song „Baller“ schien jeder eine starke Meinung zu haben, entweder man liebte oder man hasste ihn. Ich hatte schon beim Vorentscheid ein großes Grundvertrauen in Stefan Raabs Entscheidung gespürt und ich musste ihm einfach zustimmen. Die Sängerin Tynna ist ein ganz besonderer Typ – super charismatisch und mit großem Star-Potenzial. In Kombination mit ihrem Cello-spielenden Bruder Abor einfach ein cooler, moderner Beitrag für die Deutschen und ein echtes Gesamtpaket. Ich fühlte mich jedenfalls würdig vertreten und bin überzeugt davon, dass die beiden ihren Weg gehen werden.
Übrigens ziehe ich meinen Hut vor jedem Act, der live beim ESC vor 160 Millionen Menschen auftritt – egal, ob der Beitrag meinem persönlichen Geschmack entspricht oder nicht. Vor allem mit einem selbstgeschriebenen Song an den Start zu gehen, verdient Respekt, denn das würde sich definitiv nicht jeder trauen. Ein solcher Wettbewerb lebt außerdem von der Vielfalt und vom strahlenden Sieger bis zum Letztplatzierten muss nun mal alles vertreten sein. Die Hasswelle, die manche Beiträge (oftmals aus den eigenen Reihen) abbekommen, erschließt sich mir daher überhaupt nicht!

Ich kam also am Donnerstag, den 15. Mai in Basel an und nahm gleich eine ganz besondere Stimmung wahr. Überall waren pinke und grüne Wimpel aufgehängt, Straßenbahnen und Restaurants waren in ESC-Farben geschmückt und der Slogan „United by music“ begegnete mir an jeder Ecke. Ich traf dort auf eine kunterbunte Menge an Paradiesvögeln aus ganz Europa, die weder Kosten noch Mühen gescheut hatten, um das Spektakel live vor Ort miterleben zu können. Für seine ESC-Liebe musste man sich unter diesen Verrückten jedenfalls nicht rechtfertigen.😊 In der Innenstadt schlenderte ich bei bestem Wetter über die Eurovision Street, lauschte einigen Karaoke-Sänger*innen, für die in der gesamten Stadt offene Bühnen aufgestellt worden waren, sonnte mich am Eurovision Square in der Altstadt und besuchte das Eurovision Village (eine ESC-Messe), wo ich einen überteuerten, aber obligatorischen Erinnerungs-Schal erwarb.

Live beim ESC-Juryfinale: Kleiner Fisch, großer bunter Teich
Am Freitag, den 16. Mai war es dann endlich so weit und ich machte mich auf den Weg in die St. Jakobshalle, die ich zusammen mit anderen ESC-Fans in einem Linienbus erreichte. Zugegeben, ich musste mich doch gelegentlich kneifen, als ich in der Schlange zur Sicherheitskontrolle stand und realisierte, dass in der Halle vor mir gleich die Show stattfinden würde, die ich seit meiner Kindheit jedes Jahr begeistert im Fernsehen verfolgt hatte.

Als das Juryfinale losging und die einzelnen Acts für ihre Länder aufliefen, machte mich die Situation fast ein wenig emotional. Ich war tatsächlich live am Ort des Geschehens dabei, unglaublich! Von meinem Stehplatz aus hatte ich eine relativ gute Sicht auf die Bühne und betrachtete fasziniert die punktgenaue Arbeit der Techniker*innen, Tänzer*innen und Interpret*innen. Welcher Planungsaufwand hinter der Show steckt, wird einem live in der Halle natürlich ganz anders bewusst. Denn was im TV spektakulär und unterhaltsam aussieht, hat in der Realität natürlich auch eine rein technische Komponente. Hier wird nichts dem Zufall überlassen! Die Acts haben alle nur ihre drei Minuten auf der Bühne und während dieser muss jeder Handgriff stimmen, damit der strenge Zeitplan eingehalten werden kann. Und natürlich gilt: Je spektakulärer die Bühnenshow, desto mehr Aufwand in den Sekunden vor und nach dem Song. Die Bühnenarbeiter*innen rannten jedenfalls, was das Zeug hielt. Von den Dimensionen am Veranstaltungsort war ich übrigens sehr überrascht, denn die St. Jakobshalle war relativ überschaubar, nachdem sie im Fernsehen während des ersten und zweiten Semifinales riesengroß gewirkt hatte. Ich stand doch recht nah an den Moderatorinnen Hazel Brugger, Michelle Hunziker und Sandra Studer und sah ihnen fasziniert dabei zu, wie sie ihre Gags vom Teleprompter ablasen und schon einmal für den großen Auftritt übten. Ich kannte also bereits den genauen Ablauf der Finalshow am Samstagabend – nur eben noch ohne offiziellen Gewinner.

Dass es nur eine Generalprobe war, tat der Aufregung überhaupt keinen Abbruch. Die Stimmung in der Halle war fantastisch und ich genoss es, live vor Ort dabei sein zu können. Lediglich das lange Stehen wurde mit den Stunden etwas unangenehm. In solchen Momenten merkt man wohl, dass man alt wird! Am Morgen nach dem Juryfinale berichtete ich für die Abendzeitung aus Basel und lieferte Informationen zum heiß erwarteten Auftritt von Céline Dion (die letztendlich leider doch nicht erschien). Dabei wurde mir bewusst: Hey, ich trage gerade tatsächlich zur Berichterstattung vom ESC 2025 bei – was für ein journalistischer Meilenstein das ist! 😊 Als ich das große Finale am Samstag schließlich im Fernsehen sah, fühlte es sich tatsächlich ein bisschen so an, als wäre ich ein Teil des Ganzen gewesen. Und allein dafür hat sich die Reise absolut gelohnt.
Fazit: Der Eurovision Song Contest 2025 in Basel
Nun ist er also vorbei, mein erster ESC im Gastgeberland. Von den wunderbaren Eindrücken, die ich in Basel sammeln durfte, werde ich wohl noch eine ganze Weile zehren. Dort herrschten eine fantastische Stimmung und ein Gemeinschaftsgefühl unter ESC-Verrückten, die ich mir genau so erhofft hatte. Die Erinnerungen werde ich in Ehren halten – genau wie den Becher, den Schal, die Minz-Bonbons, die Postkarten und Poster, die ich nun in meiner ESC-Kiste wie einen Schatz aufbewahre.

Immer, wenn ein ESC zu Ende geht, bin ich ein kleines bisschen melancholisch und erst recht natürlich in diesem besonderen Jahr. Doch ich tröste mich damit, dass der nächste quasi schon in den Startlöchern steht. Was sich die Österreicher*innen wohl einfallen lassen werden? An den ESC 2015 in Wien erinnere ich mich noch immer gerne zurück. Damals hatte Australien zum ersten Mal teilnehmen dürfen und den Wettbewerb mit dem wundervollen R’n’B-Sänger Guy Sebastian unglaublich bereichert. Zwar werde ich mir den Luxus eines ESC-Besuchs nicht in jedem Jahr leisten können, doch sind zukünftige Reisen in die Gastgeberländer nicht ausgeschlossen. Und anderen ESC-Fans kann ich nur raten: Wenn ihr die Chance bekommen solltet, dann guckt euch den Zirkus unbedingt einmal live vor Ort an. Für mich hat es sich jedenfalls gelohnt.♡